mit pappbechern in die steinzeit
"Blick" vom 17.4.2015 auf der Titelseite
Entwickelt sich der Mensch zurück? Wie uns die US-Kaffeekette Starbucks zu Becherträgern macht.
1. Von der Hand in den Mund
Durst und Hunger sind naturgegeben – Trinken und Essen durch Kultur gestaltet. So haben etwa Steinzeitmenschen sofort verzehrt, was sie in der Natur fanden – von der Hand in den Mund, auch beim Gehen. Genügend Nahrung war eine Frage des Überlebens.
2. Von Gabel und Pappbecher
Im Mittelalter hatte man ganz andere Probleme: Es entbrannte eine heisse Diskussion um die Gabel. Denn das lustvolle Zugreifen mit der Hand war bei den feinen Herrschaften verpönt. Der grösste Widerstand kam jedoch von der Kirche, galt doch die Gabel damals noch als Accessoire des Teufels. Heute dreht sich die gesellschaftliche Diskussion nicht mehr um Essbesteck, sondern um überteuerten Kaffee aus Plastik- oder Pappbechern von Starbucks.
3. Globalisierung
Wir trinken und essen, was in anderen Ländern erfunden wurde. Aktuelles Beispiel: Starbucks startete 1971 mit einem kleinen Kaffeehaus in Seattle (USA), heute ist das Unternehmen in 50 Ländern vertreten, so auch in der Schweiz. Mitte des 20. Jahrhunderts startete zugleich der Siegeszug der Kunststoff-Industrie. Damit wird der Plastikbecher zum Symbol des Fortschritts – das Wegwerfen ein neues Lebensgefühl.
4. Der Grad der Zivilisation
Soziologe Norbert Elias († 93) behauptete gar, dass Trinken Werkzeug und Essmanieren den Grad der Zivilisation anzeigen.
5. Neue Manieren
Heute sind mit der Globalisierung der Esskultur zugleich neue Manieren gefragt: Essen während des Gehens – von der Hand in den Mund – jetzt, sofort – wie in der Steinzeit.
6. Fall für Knigge
Freiherr von Knigges neue Benimmregel: Pappbecher-Menschen immer die Türe aufhalten, beim Lift den Vortritt gewähren, damit die Türe nicht zuschnappt. Falls die Gattin mit einem vollen Becher Kaffee ins Auto steigt, auf Vollbremsung verzichten. Ob sich unsere Zivilisation weiter- oder zurückentwickelt, ist die grosse Frage.